Was der Mittelstand jetzt tun muss

Autor:
Prof. Dr. W. Edelfried Schneider WP / StB
18.04.2015, Rhein-Zeitung, Seite 2

Negativzinsen haben vielschichtige Folgen für Unternehmen

Verkehrte Welt auf den Kapitalmärkten: Wer Geld anlegt, der erhält keine Zinsen mehr, sondern zahlt drauf. Negativzinsen nennt die Finanzwelt das – ein Begriff, der nicht so hart klingt wie Strafgebühr oder Kostenpauschale, aber im Grunde genau das ist. Mit Zinsen, die ein Kapitalgeber erhält, damit seine Bank mit seinem Kapital arbeiten kann, hat der Sachverhalt jedenfalls nichts mehr zu tun. Offensichtlich legen manche Banken im wahrsten Sinne des Wortes keinen großen Wert mehr auf Einlagen. Was der Europäischen Zentralbank recht ist, ist den Banken in ihrem Kundengeschäft billig.

Allenthalben wird nun versichert, dass private Kunden davon nicht betroffen sein werden. In der Tat: Negativzinsen werden in Deutschland bislang nur vereinzelt für große Unternehmen oder institutionelle Anleger bei der kurzfristigen Anlage von größeren Summen in Rechnung gestellt. Das ist zugleich der Grund, warum wichtige steuerpolitische Klärungen noch ausstehen. Ob Negativzinsen bei der Gewinnermittlung als Betriebsausgabe in Abzug gebracht werden können, könnte fraglich sein, selbst wenn die rechtliche Einordnung als Gebühr dies nahelegt. Insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand sind solche Fragen aber rechtzeitig zu klären, und zwar selbst dann, wenn Negativzinsen bislang nicht anfallen. Ansonsten ist gerade im Mittelstand mit Verunsicherungen zu rechnen, die niemand gebrauchen kann.

Insgesamt ist die Behauptung, der Mittelstand sei von Negativzinsen nicht betroffen, nur die halbe Wahrheit. Selbst wenn dem Mittelstand keine Negativzinsen direkt berechnet werden, zu spüren bekommt er sie auf jeden Fall. Und diese Folgen sind vielschichtiger, als man auf den ersten Blick meint. Denn gerade der Mittelstand muss sich in fast allen Bereichen der Unternehmensführung mit den Auswirkungen der Niedrigzinsphase befassen. Finanzierungsstrategien, Liquiditätshaltung, mittelfristige Anlagen, Mieten, Einkaufskonditionen – auf allen Ebenen müssen Entscheidungen auf den Prüfstand.

Was heißt das konkret? Beispielsweise lassen sich Risiken reduzieren, indem Einlagen breiter als bisher üblich gestreut werden. Generell ist zu überdenken, wie liquide Mittel kurz- und mittelfristig angelegt werden können, wenn es auf den für Mittelständler üblichen Festgeldkonten nichts mehr zu holen gibt. Welchen Sinn machen Leasingverträge, wenn es so günstige Darlehen gibt?

Hinzu kommt für viele Unternehmer und Freiberufler ein ganz persönliches Problem: Diejenigen, die auf Lebensversicherungen gesetzt haben, müssen präzise feststellen, wie groß die Lücke in ihrer Altersversorgung ist, weil die einmal prognostizierten Erwartungen an die Auszahlungen nicht eintreten. Und es müssen womöglich Alternativen her, die sich aus anderen Anlageformen ergeben. Das alles zu durchdringen, erfordert Zeit und Expertise, die nur der Unternehmer investiert, der die Lage wirklich ernst nimmt. Wer den zusätzlichen Aufwand eines solchen "Frühjahrs-Checks" scheut, wird die Phase ohne Zinsen nicht erfolgreich bestehen – jedenfalls nicht so erfolgreich wie die Wettbewerber, die genau dies tun. Dass das Ende der zinslosen Zeiten nicht abzusehen ist, macht die Aufgabe noch dringlicher.

Doch neben den aktuellen Risiken ergeben sich natürlich zugleich neue Chancen, insbesondere in der Finanzierung von Investitionen zur Modernisierung oder Erweiterung. Typischerweise finanzieren kleine und mittlere Unternehmen ihre Investitionen nur widerwillig mit Fremdkapital, weil sie aus vielerlei Gründen den Weg zur Bank scheuen. Nun ist Vorsicht grundsätzlich kein schlechter Ansatz – aber in einer Phase, in der die Zinsen für Fremdkapital auf absehbare Zeit gegen Null gehen, ist auch hier ein Umdenken möglicherweise sinnvoll. Denn die vielzitierte Hebelwirkung eines Kredits setzt natürlich viel früher an als in den alten Investitionsrechnungen angenommen. Selbst bei Projekten mit einer mittleren Renditeerwartung von wenigen Prozentpunkten lohnt sich der Einsatz von Fremdkapital, wenn das zum Beispiel nur noch ein Prozent kostet. Darüber hinaus kann eine stärkere Fremdfinanzierung zusätzliche positive steuerliche Effekte erzielen, da die Fremdkapitalzinsen als Betriebsausgabe gelten. Wer dann noch vorsichtig bleibt und in seinen Planungen berücksichtigt, dass die zinslose Phase auch wieder vorbeigeht, der kann jetzt wichtige Weichen für eine erfolgreiche unternehmerische Entwicklung stellen. So gesehen kann das Phänomen der Negativzinsen im Mittelstand wie ein Weckruf wirken.