Zweifel im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Streubesitzdividenden gem. § 8b Abs. 4 KStG
Autor:
Dr. Lukas Karrenbrock, StB; Anne Engelhardt (BA)
30.10.2017 NWB Nr. 44; Urteil der Woche
Mit Urteil vom 20.10.2011 - Rs. C-284/09, Streubesitzdividenden [TAAAD-95597] erklärte der EuGH die frühere Streubesitzdividendenbesteuerung für europarechtswidrig. Hintergrund dessen war die folgende Ungleichbehandlung: Im Fall einer Ausschüttung einer inländischen Körperschaft an eine andere inländische Körperschaft blieben – unabhängig von der Beteiligungshöhe – die Dividendenerträge bei der Ermittlung des Einkommens im Ergebnis zu 95 % außer Ansatz. Einbehaltene Kapitalertragsteuer wurde angerechnet. Bei einer Ausschüttung einer inländischen Körperschaft an einen in einem EU-/EWR -Staat ansässigen Anteilseigner entfaltete die einbehaltene Kapitalertragsteuer hingegen abgeltende Wirkung. Erst ab einer Mindestbeteiligungshöhe von 10 % fiel die Ausschüttung unter den Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie . Bei Streubesitzdividenden an beschränkt Steuerpflichtige stellte die Kapitalertragsteuer demnach eine Definitivbelastung dar (vgl. auch Karrenbrock, NWB 32/2015 S. 2348).
Der deutsche Gesetzgeber führte infolge des EuGH-Urteils auch für den Inlandsfall eine Beteiligungsgrenze ein (§ 8b Abs. 4 KStG ). Aufgrund zu befürchtender Steuerausfälle wählte er eine profiskalische Lösung dergestalt einer Schlechterstellung des Inlandsachverhalts (sog. Inländerdiskriminierung), wodurch die in dem Vertragsverletzungsverfahren bemängelte Ungleichbehandlung entfällt. Gleichauf mit der Mindestbeteiligungsquote der Mutter- Tochter-Richtlinie werden Ausschüttungen, die dem Steuerpflichtigen seit dem 1.3.2013 zufließen, in voller Höhe der Besteuerung unterworfen, sofern die unmittelbare Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahrs weniger als 10 % am Grund- oder Stammkapital beträgt (§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG ) und die Fiktion des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG nicht einschlägig ist. Obgleich Zweifel im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm in der Literatur diskutiert werden, haben sich die nationalen Gerichte bislang noch nicht mit entsprechenden Fragestellungen beschäftigt. Viereinhalb Jahre nach Einführung des § 8b Abs. 4 KStG kommt nun das FG Hamburg in einem Streitfall zum Ergebnis, dass die Vorschrift verfassungskonform ist, lässt jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zu. Konkret muss im nunmehr anhängigen Revisionsverfahren über folgende Fragen entschieden werden:
- Begegnet die Besteuerung von Streubesitzdividenden gem. § 8b Abs. 4 KStG Bedenken im Hinblick auf eine nicht folgerichtige Ausgestaltung der Grundentscheidung des Gesetzgebers, in Beteiligungsstrukturen erwirtschaftete Gewinne zur Vermeidung von Kumulationseffekten nur einmal bei der erwirtschaftenden Körperschaft mit Körperschaftsteuer und erst bei der Ausschüttung an natürliche Personen als Anteilseigner mit Einkommensteuer zu besteuern?
- Widerspricht die Regelung zudem nicht dem Gebot steuerlicher Lastengleichheit im Sinne einer gleich hohen Besteuerung bei gleicher Leistungsfähigkeit?
- Kann die Regelung allerdings gerechtfertigt sein, um nicht über die Anforderungen der Mutter-Tochter-Richtlinie hinauszugehen, nach der erst bei einer Mindestbeteiligung von 10 % eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle für von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne verlangt wird? Würde zudem eine vollständige Befreiung vom Steuerabzug unabhängig von der Beteiligungsquote die Möglichkeit eines Quellensteuerabzugs entsprechend Art. 10 Abs. 2 OECD-Musterabkommen und entsprechender Doppelbesteuerungsabkommen obsolet machen?
Begegnet § 9 Nr. 2a GewStG verfassungsrechtlichen Bedenken?
Den Kommentar von Dr. Lukas Karrenbrock und Anne Engelhardt hierzu lesen Sie unter NWB, Nr. 44/2017, S. 3326f.